Giro-Favorit Roglič im Sturzpech: Eine Rundfahrt der Schmerzen
Der mit großen Ambitionen gestartete Primož Roglič muss nach mehreren Stürzen beim Giro d’Italia zurückstecken. Sogar ein Ausstieg ist im Gespräch.
Radsport kann gemein sein. Da bereitet man sich monatelang vor auf ein großes Rennen – und dann genügen zwei, drei schlechte Momente, und alles ist dahin. So geht es bei diesem Giro d’Italia dem mit großen Ambitionen gestarteten Primož Roglič. Zwei rosa Plüschtiere stecken noch hinter der Frontscheibe des Busses seines Teams Red Bull – Bora – hansgrohe. Bekommen hat sie Roglič noch in Albanien beim Auftakt des 108. Giro d’Italia. Damals fuhr er zwei Tage im rosa Trikot und schien auf allerbestem Wege, zum zweiten Mal die zweitwichtigste Rundfahrt des Straßenradsports zu gewinnen. Knapp zwei Wochen später ist das eher unwahrscheinlich.
Italiens Straßen brachten dem Slowenen kein Glück. Er stürzte auf einer Schotterpiste in der Toskana. Tags darauf folgte ein weiterer Sturz beim Training auf der Zeitfahrstrecke von Pisa. Das Zeitfahren selbst beendete er noch als Bester der Klassementfahrer. Aber in seiner Spezialdisziplin hatte sich der Olympiasieger von Tokio (2021) wohl mehr ausgerechnet als nur einen 17. Tagesrang.
„Wenn ein Fahrer stürzt, ist sein Niveau für eine gewisse Zeit nicht das beste“, erklärte Roglič’ sportlicher Leiter Patxi Vila. Gewöhnlich rechnet man mit einer Woche, die ein Radfahrerkörper braucht, um sich von Stürzen, bei denen nichts gebrochen oder gerissen ist, zu erholen. Bei Grands Tours ist die Erholung selbstverständlich komplizierter. Und die Radsportgötter wie auch die irdischen Rivalen machten es dem fünffachen Grand-Tour-Sieger bei diesem Rennen besonders schwer.
Ausgerechnet beim Abstecher in die slowenische Heimat hielt ein Massensturz auf nassem Pflaster Roglič erneut auf. Wieder verlor er knapp eine Minute auf die wichtigsten Rivalen. Und am Sonntag konnte er bei einer frühen Attacke des wieder genesenen Tour- und Giro-Siegers Egan Bernal nicht folgen. „Wir wissen noch nicht genau, was heute passiert ist. Es war kein guter Tag. Die Position war nicht ausschlaggebend, es waren schlechte Beine, und wir wissen nicht genau, warum“, erklärte Vila sichtlich bedrückt am Abend vor dem Teambus. Da hatte der Spanier allerdings noch leichte Hoffnungen. „Wir werden uns erholen und in den nächsten Tagen schauen, wie es geht“, sagte er. Zu dem Zeitpunkt hielt er noch offen, ob es eine Strategieänderung geben würde: Etappenjagd statt Gesamtwertung.
Anti-Roglič-Strategie
Deutlich zu sehen war aber auch: Dieser Primož Roglič ist nicht mehr der, den man einmal kannte. Er überließ sogar die Sprints an den kurzen Anstiegen, wo es Zeitgutschriften zu gewinnen gab, der Konkurrenz. Der Gesamtführende Isaac Del Toro holte hier Bonussekunde um Bonussekunde. Auch dessen UAE-Teamkollege Juan Ayuso beteiligte sich. „Das ist kein Duell zwischen uns. Wir wollen nur so viel Bonussekunden wie möglich im Team haben“, erklärte der Mexikaner. Es handelt sich um eine Art Anti-Roglič-Strategie der UAE-Fahrer. Das Kuriose aber war, dass Roglič beim Kampf um die Bonussekunden gar nicht mitmachte. Nicht, weil er nicht wollte. Eher, weil er durch seine Blessuren so eingeschränkt war, dass abrupte Beschleunigungen nicht mehr drin waren.
Wie schlecht es Roglič wirklich geht, gab später am Abend Christian Pömer, der andere sportliche Leiter von Red Bull beim Giro, zu: „Wir können nicht länger verheimlichen, dass es ihm nicht gut geht und dass er Schmerzen hat. Wir haben versucht, es ein wenig herunterzuspielen, aber jetzt kam die Wahrheit ans Licht.“ Pömer wollte sogar einen Ausstieg seines Kapitäns nicht ausschließen. „Ich denke, es ist jetzt eher eine medizinische Entscheidung. Wenn er Schmerzen hat, steht die Gesundheit an erster Stelle“, sagte er und verwies auf das übliche Procedere im Rennstall: „Es gibt klare Regeln im Team, dass das medizinische Team die Entscheidung gemeinsam mit dem Athleten trifft.“
Ein Ausstieg von Roglič träfe Red Bull hart. Schließlich ist der Slowene in dieser Saison einer der wenigen Leistungsträger. Aber selbst wenn er von der medizinischen Abteilung grünes Licht bekommt, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass er das Vorjahreskunststück seines Landsmanns Tadej Pogačar wiederholen kann. Der gewann erst den Giro und dann die Tour. Für Roglič wäre es, Stand jetzt, schon ein Erfolg, die letzte Etappe durch den Vatikanstaat hin zum Kolosseum zu erreichen.
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